Einleitung

In den verschiedenen Abschnitten des menschlichen Lebens finden sich bemerkenswerte Veränderungen des Urogenitaltraktes und Unterschiede in einer Reihe urologischer Krankheitsbilder. Während einerseits Erkrankungen des Kindes und des Erwachsenen in der konventionellen Urologie ihre Berücksichtigung finden, ist der Abschnitt von der Pubertät bis zum 21. Lebensjahr, d.h. der Adoleszenz, vernachlässigt. Die herkömmliche Einteilung in Kinder- und Erwachsenenurologie berücksichtigt die Problematik der Jugendlichen nicht zulänglich. Im Adoleszentenalter treten aber tiefgreifende Veränderungen in der Funktion bzw. Pathophysiologie des Urogenitaltraktes auf - als Beispiel Pubertas praecox und tarda.
Zu bedenken ist dabei auch, dass angeborene Fehlbildungen nicht immer im Kindesalter erkannt aber in den folgenden Jahren beim Jugendlichen symptomatisch werden.
Zu beachten sind in diesem Alterskollektiv fernerhin Störungen der Geschlechtsdifferenzierung (z.B. Pseudohermaphroditismus). Manche Patienten mit abnormem Genitale kommen erst im Jugendalter in urologische Behandlung (z.B. bei Migrationshintergrund).
Die profunden Veränderungen im Urogenitalbereich von der Geburt über die Kindheit bis zum Jugendalter schlagen sich auch im unterschiedlichen Verhalten der verschiedenen Altersgruppen nieder.
Folgt man Woodhouse, so finden sich in diesem Lebensabschnitt beispielsweise Symptome wie Hypertonus bzw. hypertensive Nephropathie im Zusammenhang mit Erkrankungen des Kindesalters wie Vesikoureteraler Reflux, Niereninsuffizienz infolge hinterer Harnröhrenklappen bei männlichen Jugendlichen, sowie Dysfunktion des unteren Harntraktes bei neurogenen Blasenentleerungsstörungen, z.B. Meningomyelozele, die zu irreparablen Nierenschädigungen mit der Konsequenz Dialysepflichtigkeit/Transplantation führen können Literatur:Woodhouse, C. R. J.: "Late outcome of patients with congenital urological malformations", Curr Op Urol, 7, 331-335, 1997

Woodhouse, C. R. J.: "Developments in adolescent urology", BJU int, 92 Supplement, 42-47, 2003
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Zu erwähnen sind fernerhin Störungen der Fertilität, die im späterem Jugend- bzw. frühen Erwachsenenalter bei Patienten mit Varikozelen, malignen Tumoren (z.B. Hodenkarzinomen) aber auch bei Hypospadie bzw. Epispadie ins Bewusstsein der Patienten treten Literatur:Spix, C.: "Fertilität bei Überlenden nach Krebs im Kindesalter", DÄB, 109, 124-125, 2012

Balcereck, M. et al: "Verdacht auf Infertilität nach Leukämien und soliden Tumoren im Kindes- und Jugendalter", DÄB, 109, 126-131, 2012

Kubal, A. et al: "The adolescent varicocele: diagnostic and treatment patterns of pediatricians. A public health concern?", J Urol, 171, 411-413, 2004
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Auch die besondere traumatologische Gefährdung durch Sport im Jugendalter (z.T. Eintritt in den Leistungssport mit seiner erheblichen Belastung und Gefährdung) oder Freizeitaktivitäten (Ballspiele, Fahrrad, Moped und Motorrad) erfordern Beachtung und bedingen entsprechende rekonstruktive Maßnahmen.
Auffällig ist die offenbar in den letzten Jahren zunehmend bei Jugendlichen festzustellende Neigung zur Selbstverletzung. Sie fügen sich Schnitt- bzw. Stich- oder Brandverletzungen zu (s. dazu auch das Kapitel Traumatologie). Eine größere australische Studie ist dazu in jüngster Zeit in Lancet erschienen Literatur:Moran, P. et al: "The natural history of self-harm from adolescence to young adulthood: a population-based cohort study", Lancet, 379, 236-43, 2012. Auch die Arbeitsgruppe um Brunner in Heidelberg legt entsprechende Studienergebnisse vor Literatur:Brunner, R. et al: "Prevalence and Psychological Correlates of Occasional and Repetitive Deliberate Self-harm in Adolescents", Arch Pediatr Adolesc Med, 161, 641-649, 2007.
Im Weiteren ist die besondere, z.T. achtlose Haltung Jugendlicher gegenüber Infektionsgefahren von Bedeutung. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang die gravierenden Folgen sexuell übertragbarer Erkrankungen. Beispielsweise sind hier entzündliche Veränderungen an den weiblichen Adnexen und ihre Konsequenzen hinsichtlich späterer Fertilität durch nichtgonorrhoische Urethritis zu nennen. Dringend notwendige Aufklärung der Jugendlichen bezüglich der Anwendung von Kondomen ist geboten. Es ist Aufgabe der Urologen und Gynäkologen auf bessere Informationen in den Schulen über die sexuell übertragbaren Erkrankungen des Urogenitaltraktes zu drängen.
Vom Interesse ist außerdem die Betrachtung der Tumor-Behandlungsergebnisse bei Patienten, die im Kindesalter behandelt wurden, in Hinsicht auf die mittlerweile in vielen Bereichen gewandelten Vorgehensweisen (vor allem operativ). Als Beispiel die heutzutage veränderte Therapie beim Wilmstumor, dem Rhabdomysarkom bzw. dem Neuroblastom.
Es ist deshalb verständlich, dass sich in letzter Zeit das Augenmerk auf die jugendliche Patientengruppe richtet. Darüberhinaus unterstützt das Wissen um das besondere Erkrankungs- und Verletzungsspektrum in der Adoleszens den Prozess der Transition von der Kinder-/Jugendmedizin in die Betreuung der Erwachsenenmedizin Literatur:Reincke, M., Zepp., F (Hrsg.): "Medizinische Versorgung in der Transition", Medizinischer Ärzteverlag Köln, 2012. Wir möchten aus dieser Erkenntnis in unserem Lernprogramm schwerpunktmäßig neben den urologischen Erkrankungen des Kindes in besonderer Weise auf Krankheitsbilder im Jugend- bzw. dem jüngeren Erwachsenenalter eingehen.

Prof. Dr. med. K.-H. Bichler, Universität Tübingen
Oskar-Schlemmer-Straße 5/381
70191 Stuttgart

Dr. Eberhard Vielhauer, Stadtkrankenhaus Hof
Ehemaliger Direktor der Abteilung Röntgendiagnostik

Andreas Markus Schmidt, Universität Tübingen
Diplom-Informatiker

Danksagung

Herzlichen Dank sage ich allen Mitarbeitern des Programms, vor allem aber Eberhard Vielhauer und Andreas Markus Schmidt, die mit mir mit Fleiß und Beharrlichkeit die Hauptlast des umfangreichen Programms getragen haben. Nicht vergessen möchte ich Walter Mattauch und Ruijun Shen, die von Anfang an an dem Programm mitgearbeitet haben. Wobei ersterer seine großen didaktisch-pädagogischen Erfahrungen aus unseren früheren Programmen einbringen konnte.
Meinem jahrzehnte langem wissenschaftlichen Zeichner Heinz Prochazka gebührt mein aufrichtiger Dank.
Dank sagen möchte ich an dieser Stelle auch den Pathologen, Radiologen und Labormedizinern in Tübingen und an unseren früheren Wirkungsstätten für die Unterstützung unserer klinischen Arbeit und der akademischen Lehre.
Dem Verlag Lehmanns Media und hier vor allem den Herren Bönisch, Thieme und Thurner gilt mein Dank für die nachhaltige Unterstützung des Programms.
Die wesentliche und maßgebliche Hilfe aber war meine Frau Anne, ohne deren ständigen Beistand und Toleranz die umfangreiche Arbeit nicht möglich gewesen wäre.

Karl-Horst Bichler